Es war ein Morgen, an dem alle Uhren ein wenig zu schnell zu ticken schienen. Thilo zog die Jacke an, während Ben mit Gummistiefeln auf und ab hüpfte. Am Schlüsselbrett hing jedoch nichts. Nur ein kleiner, trauriger Haken. Kasimir saß auf dem Schuhregal und blinzelte. Rosalie putzte sich die Pfote und hörte zu. „Wo sind die Schlüssel?“, fragte Thilo. „Wer hat sie gesehen?“, fragte Ben. Die Katzen sahen so aus, als hätten sie eine Idee – oder als würden sie noch darüber nachdenken.

Thilo suchte in allen Taschen und nuschelte dabei Worte wie „nie wieder zu spät“ und „wichtiger Termin“. Ben kramte unter der Fußmatte und fand nur Krümel und ein abgewetztes Sockenbändchen. Kasimir hob die Nase. Er schnupperte theatralisch nach Luft, als sei er ein großer Detektiv. Rosalie zuckte mit den Schnurrhaaren. „Vorsichtig“, sagte sie nicht laut, aber so, dass Ben es hören konnte. „Vielleicht hat jemand anderes etwas Glänzendes gefunden.“

Die Katzen beschlossen, die Sache selbst in die Pfoten zu nehmen. „Ich suche mit Mut“, sagte Kasimir. „Ich mit List“, antwortete Rosalie. Ben klatschte in die Hände. „Darf ich mitkommen?“, fragte er. „Darfst du“, miaute Rosalie. „Aber bleib nah bei uns.“ Und so begann die Schlüsseljagd: durch das Haus, an die Fensterbank und hinaus in den Garten.

Auf der Fensterbank lag ein winziger, grünlicher Federflaum. Daneben blitzte im Sonnenlicht etwas Kleines, das kaum größer als ein Daumennagel war und wie ein Stückchen Metall aussah. Kasimir stupste es mit der Pfote an. Es war kein Schlüssel, sondern eine kleine Abdeckung, die einst an etwas Glänzendem gehangen haben musste. „Spuren“, sagte Kasimir. „Spuren sind gut.“ Rosalie nickte und sah zum Garten hinaus, wo die Vögel ihr Morgenlied übten.

Zirko saß im Garten auf dem dicksten Ast des Apfelbaums. Er war ein Vogel, so grün wie frisches Blattwerk. Er hatte etwas Funkelndes zwischen den Krallen. Als er die Katzen sah, hob er den Kopf und schüttelte sein gelbes Köpfchen. Das Funkelnde glitzerte wie ein kleiner Schatz. „Himmelblitz!“, dachte Kasimir. „Das ist unser Schlüssel.“ Ben hielt die Luft an. Thilo blieb in der Tür stehen und schaute so streng, wie Väter manchmal schauen.

Rosalie rief ihm höflich „Guten Morgen, Herr Zirko“ zu. „Hast du vielleicht unsere Schlüssel gefunden?“ Zirko krächzte und flatterte ein Stück weiter, als sei er ein kleiner König in seinem Baum. Er stellte das Funkelnde zur Schau und schnabelte ein Lied, als wollte er sagen: „Seht nur, was ich habe!“ Kasimir machte sich groß und gab einen theatralischen Faucher von sich. Zirko lachte – ein kleines, helles Pfeifen – und hob den Schlüssel höher.

Wie immer war Kasimirs erster Plan, Eindruck zu schinden. Er kletterte das Gartentor hoch, stellte sich auf die Hinterbeine wie ein Tiger und machte das Gesicht des gefährlichsten Hausbewohners, den man sich vorstellen kann. Zirko flatterte ein Stück. Der Schlüssel schwang fröhlich. Doch je wilder Kasimir fauchte, desto ängstlicher wurde Ben und desto höher flog Zirko. „Das hilft nicht“, schnurrte Rosalie leise. „Manchmal erschreckt Mut den, den man überzeugen will.“

Rosalie überlegte. Sie erinnerte sich an das kleine Glöckchen an ihrem Halsband, das leise in der Sonne klingelte. Sie setzte sich, putzte eine Pfote und begann, mit dem Glöckchen zu spielen. Ein kleines, zartes Klingeln schwebte durch den Garten. Es klang nicht nach einer Drohung. Es klang wie ein Lied, das fragte: „Darf ich dich kennenlernen?” Zirko neigte den Kopf. Sein Schnabel zuckte. Neugier ist oft wirksamer als Faucherei.

Rosalie sprang vorsichtig auf den ersten Zaunpfosten. „Herr Zirko“, miaute sie, „Sie haben etwas sehr Schönes. Wir verstehen das. Glitzer ist wunderbar. Aber diese Schlüssel gehören zu einer Familie. Wir könnten tauschen.“ Zirko zwitscherte misstrauisch. Er hob den Schlüssel an und betrachtete das andere Angebot: Rosalie hielt ein kleines Stück Aluminiumfolie hin – ein glänzendes Stück, das Ben gestern beim Naschen fallen gelassen hatte. Das Folienstück flackerte im Licht. Es war nicht dasselbe wie ein Schlüssel. Aber es war neu. Für einen Vogel konnte das reichen.

Zirko tänzelte auf seinem Ast. Er liebte Glanz und Spiel. Er liebte es, bewundert zu werden. Rosalie legte noch ein paar freundliche Worte nach. Kasimir stand neben ihr, die Pfoten gespannt, die Augen groß. Schließlich – ganz überraschend für alle – ließ Zirko den Schlüssel in die Luft gleiten. Er wollte sehen, wie die Reflexe spielten. Kasimir fing ihn mit einer schnellen Pfote, als wäre es nichts weiter als ein Apfel. Ben jauchzte. Thilo klatschte in die Hände. Zirko flatterte verwirrt, aber nicht grollend. Er hatte etwas noch Interessanteres gefunden: neue Freunde, die ihm nicht wehtaten.

Kasimir hielt den Schlüssel zwischen seinen Pfoten. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, doch nicht vor Zorn. Vielleicht, so dachte er, ist es schöner, gebraucht zu werden, als nur groß auszusehen. Rosalie trat vor und sprach mit Zirko. Sie luden ihn ein, wiederzukommen und Geschichten zu teilen, aber nicht, um zu stehlen. Zirko nickte. Vögel nicken auf ihre eigene, stolze Weise.

Thilo öffnete die Haustür und nahm den Schlüsselbund in die Hand. „Ihr kleinen Detektive“, sagte er. „Wer hätte das gedacht?“ Er lächelte so, dass Ben rot wurde. „Ohne euch hätten wir sicher eine Menge Ärger gehabt“, fügte Thilo hinzu, während er Kasimir ganz vorsichtig über den Kopf streichelte, so, wie man es mit einem ernsten Schauspieler tut. Kasimir schnurrte. Es fühlte sich gut an.

Ben hob Rosalie hoch und sagte: „Du bist mutig.“ Rosalie schnurrte und ließ die Glocke an ihrem Halsband leise klingeln. Kasimir setzte sich neben sie und legte seine Pfote auf die ihre. „Und du“, flüsterte er zu Rosalie, „bist klüger, als ich dachte.“ Rosalie zwinkerte ihm zu, ohne ein Wort zu sagen. Worte sind manchmal zu laut.

Am nächsten Morgen hingen die Schlüssel wie immer am Haken. Der Haken schien ein bisschen stolzer zu sein als sonst. Thilo zog die Jacke an, Ben winkte und gemeinsam verließen sie das Haus. Kasimir und Rosalie setzten sich auf das Fensterbrett. Sie sahen, wie die Familie ging und wie die Sonne über dem Garten aufging. Alles war an seinem Platz – fast.

Auf dem Apfelbaum saß Zirko und sang ein kurzes Lied. Es klang, als würde er erzählen, wie er den Schlüssel gefunden hatte und wie merkwürdig und freundlich die Katzen gewesen waren. Rosalie lächelte, während Kasimir sich die Schnurrhaare putzte. Es war still, aber nicht leer. Die Welt hatte ein kleines Problem gelöst, ohne laut zu werden.

Und ich – sofern ich es erwähnen darf – sage euch: Manchmal braucht man Mut, manchmal List und manchmal genügt ein kleines Glöckchen. Wer weiß? Vielleicht hängt morgen etwas anderes am Haken: ein Löffel, ein Herz oder ein neuer Spaß. Das Haus bleibt, wie es immer war – voller Kleinigkeiten, die es zusammenhalten. Ende.